Karl Wessels: "Das Schutzgebiet Kletterpoth bei Kirchhellen"

Am 8. Oktober 1926 wurde der Kletterpoth westlich von Holthausen bei Kirchhellen durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zum Naturschutzgebiet erklärt. Anfangs wollte man den Entenpoth unter Schutz stellen, doch der Regierungspräsident von Münster lehnte den Antrag ab. Er hätte seinen Standpunkt nicht zu begründen brauchen, denn die fortschreitende Kultur - Entwässerung, Straßenbau - war bereits über den Entenpoth hinweggegangen. Heute führt die Straße Kirchhellen - Dinslaken durch das Moor. Zu beiden Seiten sind kümmerliche Rest übriggeblieben. Der Autofahrer sieht sie kaum noch.

Nunmehr empfahl der Landrat von Recklinghausen den Schutz der Moorstelle unweit des Schwarzen Baches. Das war der Kletterpoth, der letzte Zeuge unserer Schwarzen Heide. Sie ist fast ganz dem Dampfpflug zum Opfer gefallen. Tausend Morgen sind in Grünland verwandelt worden. Das ist eine Leistung, auf die die Heide-Genossenschaft stolz sein kann, denn die Vermehrung des Kulturbodens kommt ja der Volksernährung zugute.

Warum blieb nun der Kletterpoth unberührt? Weil die Industrie es so wollte. In der Tat haben hier die Industriellen Naturschutz im großen betrieben. Ihre Gebiete blieben von der Zwangsgenossenschaft, also auch von der Kultivierung ausgeschlossen. Ein Gewinn für die Heimat, für die Landschaft. Ein Schatz war gerettet, den zu pflegen und zu schützen sich nunmehr die Naturdenkmalpflege vornahm.

Die Bezirksstelle für Naturdenkmalpflege, Sitz Essen,, ließ durch die Staatliche Stelle beim Minister den Schutz beantragen. Die Behörde willigte ein, handelte es sich doch "um ein hervorragendes Gebiet von landschaftlicher Merkwürdigkeit und wissenschaftlichem Interesse". Der Amtmann von Kirchhellen führte die Verhandlungen mit den Grundbesitzern und ließ eine Polizeiordnung entwerfen. Die Verhandlungen gingen aber nur langsam vorwärts. Währen der Besitzer G. seine Zustimmung gab, konnte sich v. A. mit dem Schutze nicht einverstanden erklären. Zum Glück lag das umstrittene Gebiet in der Randzone. Um die jahrelang geführten Bemühungen endlich zum Abschluß zu bringen, verzichtete man vorläufig auf den Schutz des Randgebietes und begnügte sich mit dem Schutze des eigentlichen Moores in einer Größe von 15 Morgen, der Schutzgürtel ist 135 Morgen groß.

Am 8. Oktober erließen die genannten Minister eine Polizeiverordnung, darin heißt es:

§ 2 Es ist verboten, das Naturschutzgebiet unbefugt zu betreten, dort Plaggen zu stechen, zu baden, Feuer anzuzünden und abzukochen, die dort wachsenden Pflanzen zu entfernen und zu beschädigen, sie auszugraben, auszureißen oder abzuschneiden. Desgleichen ist verboten, den dort lebenden Wasser- und Kriechtieren, Vögeln und Insekten nachzustellen, sie mutwillig zu beunruhigen, sie zu fangen oder zu töten, sowie die Eier, Nester oder sonstigen Brutstätten solcher Tiere fortzunehmen oder zu beschädigen.

§ 3 Nur mit Genehmigung des Regierungspräsidenten kann im Einzelfalle gestattet werden, in dem Naturschutzgebiet Veränderungen der Bodenfläche vorzunehmen oder sonstige bauliche Anlagen zu errichten.

§ 4 Uebertretungen dieser Verordnung werden, soweit nicht weitergehende Strafbestimmungen Platz greifen, nach Maßgabe des § 30 des Feld- und Forstpolizeigesetzes bestraft.

Diese Verordnung war unbedingt notwendig, denn nur eine vollständige Schonung konnte den Kletterpoth als heimatliches Anschauungsobjekt erhalten.

Wenn nun auch das Betreten verboten ist, so bleibt doch die Besichtigung des Moores möglich. Ein öffentlicher Weg, der sog. Kletterpothsweg, führt in unmittelbarer Nähe vorbei. Von ihm aus kann das Moor bequem überschaut werden. Allerdings lernt man den wahren Charakter des Moores nicht im Schauen kennen. Dazu gehört mehr. Einige Schritte über den Rand sind in diesem Falle der beste Anschauungsunterricht.

"Uter jedem Tritte ein Quellchen springt.
Wenn aus der Spalte es zischt und singt.
O, schaurig ist's über's Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche."

Auch diese Art Anschauung kannst du hier in der Heide haben, wenn auch nicht am Kletterpoth, den wir ja schonen wollen, so doch ganz in der Nähe. Östlich des Feuerwachtturms liegen seitlich der Straße die Ueberbleibsel des Entenpoths. Für den ersten Anschauungsunterricht genügen sie vollauf. Aber Vorsicht bitte! Denke an die Haftpflicht! Denke auch an eine andere Gefahr, auf die ich besonders aufmerksam mache: die Kreuzottern, die, ehedem zu Hunderten in weiter Heide sich sonnend, sich nach der Kultivierung anscheinend in das Gebiet um den Kletterpoth zurückgezogen haben.

Ist der Kletterpoth als Hochmoor schon im landläufigen Sinne interessant zu nene, so erst recht, wenn man ihn vom Standpunkt der Wissenschaft aus betrachtet. Wie der Name sagt, haben wir eine "hohes" Moor vor uns. von Zeit zu Zeit, besonders bei starken Niederschlägen, vermag es über den Wasserspiegel, im Laufe des Jahres sogar über seine Umgebung hinauszuwachsen. Diese Fähigkeit verdankt das Moor den merkwürdigen Eigenschaften und Lebensweisen des Torfmoores. Diese Pflanze, Sphagnum genannt, vermag das 20fache ihres Gewichtes an Wasser in sich aufzunehmen und festzuhalten. Kein Wunder, daß nicht einmal das Randgebiet des Kletterpoths trockenen Fußes betreten werden kann. Haben deshalb unsere Vorfahren die Moorstelle "Kletterpoth" genannt? Oder ist Kletter von kläterig = naß, feucht abzuleiten? Allerdings hätte dann das Bestimmungswort "Poth" einen ähnlichen oder dar denselben Inhalt wie das Grundwort. Vielleicht hat man die beiden Wörter deshalb zusammengestellt, um die außerordentlich große Feuchtigkeit besser bezeichnen zu können.

Interessant ist auch die Vermehrung des Torfmoores. Obwohl zu den Sporenbildnern gehörig, vermehrt es sich fast nur in vegetativer Form. Die Moospflänzchen sterben unten ab und bilden den Torf. Nach oben treiben sie neue Triebe. So wächst das Moor immer weiter.

Nichtinder merkwürdig ist die Ernährung des Torfmooses. Seine Nährstoffe nimmt es einzig und allein aus dem atmosphärischen Wasser, also aus den Niederschlägen der Luft. Es ist unabhängig von den Mineralien des Erdreiches. Und das ist gut so. Wenn's anders wäre, mußte es vor Hunger sterben, denn das Hochmoor ist nährstoffarm, vor allem kalkarm. Auf 100 000 seiner Teile kommen nur 2 Teile Mineralien.

Wegen seiner Lebensweise also kann sich das Torfmoos in der trockenen Heide, ja selbst auf den Hochflächen ansiedeln. Hinzu kommt noch, daß der Wasserstand des Hochmoores nicht nach unten abfließen oder durchsickern kann. Auch unter dem Kletterpoth befindet sich eine undurchlässige Schicht. Aus welchen Bestandsteilen sie zusammengesetzt ist, muß die Untersuchung lehren. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Ortschicht.

Kurz sei noch auf die unterschiedlichen Merkmale eines Wiesen- oder Niederungsmoores hingewiesen. Das Wiesenmoor ist im Gegensatz zum Hochmoor vom Grundwasser abhängig. Es bildet sich deshalb fast nur in Flußniederungen. Weil es mehr Nährstoffe enthält, ist seine Flora eine reichere. Außen den Hochmoorpflanzen gedeien hier: Schilfrohr, Schierling, Schachtelhalm, Königsfarn u. a.

Die Pflanzen des Kletterpoths sind echte, bescheidene Hochmoorkinder. Das Torfmoos wurde bereits erwähnt. Die Glockenheide Erica tetralix kommt in geselliger Form vor. Nicht umsonst rechnet sie sich zur Gesellschaft der atlantischen Flora. Dazu gehören solche Pflanzen, die nur im Seeklima oder in Landschaften mit hohen Niederschlagsmenge gedeihen. Am Kletterpoth finden wir noch folgende Vertreter diese Flora. Englischer Ginster (Genista anglica), Moorlilie oder Beinheil (Narthecium ossifragum). Auch die Hülfe gehört zur atlantischen Flora. Diese Charakterpflanze unserer Heimat kommt im Osten des Vaterlandes überhaupt nicht vor.

In pflanzengeographischer Hinsicht interessieren noch die Vertreter der letzten Eiszeit. Verschiedene Pflanzen kehrten nach der Eiszeit in ihre alte Heimat zurück. Manche fanden in den werdenden Mooren unserer Heimat günstige Lebensbedingungen und faßten hier festen Fuß. Im Kletterpoth finsen wir zwei typische Vertreter der glacialen Flora. Die Moosbeete (Vaccinium oxycoccus), ein rankendes Heideblümchen, schlängelt sich leicht über das feuchte Torfmoos hinweg und leuchtet im Spätsommer mit blaßroten Beeren. Der wilde Rosmarin oder das Moorglöckcehn (Andromedia politolia) trägt seinen vielsagenden Namen nicht mit Unrecht. Zur Blütezeit, Juni und Juli, ist das Pflänzchen, das auch Lavendelheide genannt wird, eine Zierde unseres Kletterpoths. In der Nähe des Schutzgebietes wächst noch die Hiesbeere (Vaccinium uliginosum). In einigen Jahren wird sie zu den ausgestorbenen Pflanzen gehören. Die Entwässerung sagt ihr nicht zu. Gleich ihren Verwandten, Wald- und Preißelbeere, gehört auch sie zu den glacialen Pflanzen.

Im Moorwasser wachsen Sauergräser in Menge. Seggen, Simsen und Binsen sind vertreten. Im Verlandungsgebiet ist der Bestand an Wollgras auffallend. Wir finden das einährige Eriophorum vaginatum und des mehrköpfige Wollgras (E. polystechium). Ihre Blattspreiten färben das Heidebild im Spätherbst kaminrot. Sommertags schmücken Blatt und Blüte der gelben Teichrose den Kletterpoth. Hoffentlich bleibt sie dem Schutzgebiet noch recht lange erhalten!

Hier und da finden wir einen azurblauen Enzian (Gentiana pneumonanthe). Er gehört zu den in ganz Preußen geschützten Pflanzen, genießt also am Kletterpoth doppelten Schutz. Ob er noch zu retten ist? Seine Zahl ist sehr, sehr gering. Von den Orchideen sind Händelwurz (Gymnadenia conopea) und geflecktes Knabenkraut festgestellt worden. Der fleischfressende Sonnentau, hauptsächlich der rundblätterige Drosera rotundifolia, der mit der mageren Kost nicht auskommt und sich deshalb sogar von Mücken, Fliegen und Libellen vergreift, ist im ganzen Gebiet anzutreffen. Auch der Bärlapp (Lycopodium complanatum) ist nicht selten. Seine größeren Vorfahren waren es, die vor Jahrtausenden den schwarzen Schatz, die Steinkohle, in die Erde legten. Merkwürdig genug, daß die Kohle, selbst ein Naturprodukt, heute als Grundlage jeder Industrie unserer Heimat-Natur so manche Wunde schlägt.

Die geologischen Kennzeichen des Kletterpoths sind schon bei der Beschreibung des Hochmoores berücksichtigt worden. Der Blick in das Innere ist uns noch versperrt. Einige oberirdische Gesteinsarten erzählen uns aus der heimatlichen Erdgeschichte. Die Findlinge im Kreise zahlreicher Feuersteine zeugen von vergangener Eiszeit. Fremde Steine in unserer Heimat! Kleine Kieselsteine, vom Regen blank gewaschen, erinnern daran, daß hier früher einmal der Rhein sein Bett gehabt hat. Wir finden hier den weißen Rhein- und den dunklen Ruhrkies.

Nenn mir zum Schluß auch noch die Tiere des Kletterpoths! Die Kreuzotter ist bereits erwähnt. Die Kreuz-Rohrkröte bewegt sich langsam über das Torfmoos dahin. Auf dem Rücken trägt sie einen schwefelgelben Längsstrich. Ueber dem Moorwasser glitzern Libellen, im Volksmunde Middagsdüwel genannt, kleine und große. Die kleinen Wasserjungfern fallen nicht selten dem Fleischfresser Sonnentau zum Opfer. Im Heideland bemerken wir kleine Trichter, einige Zentimeter im Durchmesser. Um untern Ende sitzt der Ameisenlöwe. Er lauert auf Beute.

Von den Wasservögeln ist hier noch die Wildente zu Hause. Auch der große Brachvogel hat ganz in der Nähe sein Standquartier. Alljährlich kommt er wieder. Sein Tülülütt verrät ihn. Zur späten Abendstunde belebt die Nachtschwalbe, Dagschlöper, beutejagend den stillen Heideweg. Und wenn ihr minutenlanges "Rör" ertönt, dann ist's Zeit, den Heimweg anzutreten. Dann schlafen die Heide und den Kletterpoth. Wünschen wir ihnen gute Ruhe, nicht nur für eine Nacht, sonder für lange, lange Zeiten.

Quellen:
Heimatblätter der Roten Erde 1922, Oberkirch, Bot. Wanderung durch die Schwarze Heide.
Vest. Heimat 1926, Höppner, Die Kirchh. Heide.
Kirchh. Volksztg. 4.11.1920, Ein Gang durch die Schwarze Heide.
Kirchh. Volksztg. 29.8.1925, Zwischen Moor und Heide
Dr. Bömer, Die Moore Westfalens.


Der Artikel von Karl Wessels erschien 1927 in den Gladbecker Blättern, Seite 38-40


letzte Änderung: 21.05.2009 Impressum - Datenschutz