Wilhelm Grafe: Vom Sterben und Begraben im alten Kirchhellen

Lehrer Grafe

Die Redensart "Sterben ess ten Aberglauben" erinnerte unsere Ahnen immer wieder an die Stunde, die mit "tödlicher" Sicherheit kommt. Man glaubte, aus gewissen Erscheinungen in der Natur und im Leben Vorboten des Todes zu erkennen. Zeigte sich eine gelbe Bohne im Garten, blühte die Kirsche zweimal im Jahr oder wühlte der Maulwurf einen großen Haufen in der Nähe des Hauses auf, dann gab es bestimmt eine Leiche in der Nachbarschaft. Aengstliche Seelen hörten auch wohl auf das Ticken der Totenuhr. Der Kranke lauschte auf den Ruf der Eule und auf das Heulen des Hundes und war besorgt, ob der Totenvogel mit seinem Ruf mit ihn Fortrufen würde. Hatte die letzte Leiche an einem Sonntag über Erden gestanden, dann zog sie sehr schnell einen "großen Toten" nach sich.

Wenn nun ein Todesfall eingetreten war, so mußte der nächste Nachbar die Nachbarschaft zum "Utlieken" bestellen. Ohne den Tagesgruß zu bieten, betraten dann die Nachbarn das Sterbehaus. Jeder mußte zuerst kniend drei Vaterunser für den Verstorbenen beten. Alle anwesenden Nachbarn beteten dann jedesmal mit. Die nächsten Nachbarn kleideten den Toten aus und zogen ihm das Sterbehemd an, das ja stets im Koffer fertig lag. Dann bereiteten sie das Strohlager. Man zündete geweihte Krezen an und hielt Nachtwache bei der Leiche. Waknaobers. Nachdem nun die Nachbarn die Beerdigung in allen Einzelheiten durchgesprochen und geregelt hatten, brachten sie die Trauerbotschaft von Haus zu Haus. Sie mußten den "Doden been". Die einzelnen Bestellbezirke wurden durch Zettel ausgelost. Der nächste Nachbar meldete den Todesfall auf dem Standesamt an. Er ging auch zum Pfarrer und bestellte die Beerdigung und das Seelenamt. Zwei Nachbarn erhielten ihr Amt als Läuteküster. Am Tage vor dem Begräbnis und am Begräbnistage selbst mußten sie die Totenglocke läuten. Die Laternenträger, Leichenkutscher und Sargträger wurden auch aus der Reihe der Nachbarn gewählt.

Bei Todesfällen von Kindern, Jünglingen und Jungfrauen kamen die jungen Leute der Nachbarschaft am Vorabend des Begräbnistages im Sterbehaus zusammen, um die "Like frisch te maken", d. h. um zu kränzen und Bildchen in den Sarg zu legen. Beim Winden des Kranzes stärkte man sich durch manchen Gläschen "Leichenbitter". Zuweilen kam dann trotz der Trauer eine heitere Stimmung auf. Wenn aber dann nach der "Frischmachung" der nächste Nachbar mit erhobenen Händen an der Leiche betete, dann kehrte die echte Trauer wieder zurück. Die Sitte des Frischmachens artete häufig zur Unsitte aus. Sie wurde daher vom Pfarrer verboten.

Am Vorabend des Begräbnisses wurde die Leiche im besten Zimmer, an "der großen Tür" oder aber auf der Tenne aufgebahrt. Vor dem Verschließen des Sarges mußte der nächste Nachbar fünf Vaterunser mit erhobenen Händen beten. Der Sarg, auch "Kiesfatt" genannt, wurde dann auf den Leiterwagen gestellt. Man legte ein paar Strohbünden unter den Sarg, damit die Sargfüße nicht abbrachen. Vorn auf den Wagen setzten sich die Frauen, angetan mit langen "Reenkledern". Um den Kopf trugen sie das dreieckige schwarze "Reendauk". Zwei bis vier Pferde zogen den Wagen. Sie wurden hintereinander eingespannt. Man hielt einen bestimmten Weg, den sogenannten "Likweg" ein. Dem Wagen folgten beim Tode eines Mannes zuerst die Männer und dann die Frauen. Zum anderen Falle war es umgekehrt. Die Leiche wurde am Hause oder an der Kirche eingesegnet.

Nach der Beerdigung gab es im Hause des Verstorbenen Kaffee mit "Beschüte". Es wurde auch ein Schnäpschen getrunken. Sprach man dem Alkohol übermäßig zu, dann nannte man das: "Fell versupen". Die Mittagsmahlzeit hieß auch wohl "de bedräuwte Mohltid".

Man war kein Freund von reichen Kranzspenden und großen Denkmälern. Doch gedachte man der Toten stets im täglichen Gebet und im hl. Meßopfer.

aus: Gladbecker Blätter 1931, Seite 30/31


letzte Änderung: 18.08.2008 Impressum - Datenschutz