Lehrer Karl Wessels - in Kirchhellen unvergessen

 

Lehrer Karl Wessels - in Kirchhellen unvergessen
Von Theo Täpper, Kirchhellen

Kirchhellen, 9. November 1930: Am frühen Abend verabschiedete sich Lehrer Karl Wessels von seiner Frau im St. Antonius-Krankenhaus Kirchhellen. Auf dem Flur trifft er einen Bekannten aus Grafenwald, der ein Motorrad besitzt und Wessels auf dem Sozius mitnehmen möchte. Lehrer Wessels nimmt dieses Angebot an, weil er so schnell wie möglich zu seinen beiden kleinen Kindern (Sohn und Tochter) nach Grafenwald in sein neuerbautes Haus an der Friedenstraße will.

Auf der B 223, unmittelbar vor dem Hause Eulering-Otte in Grafenwald, ist die von allen Verkehrsteilnehmern gefürchtete "Todeskurve" (1954 begradigt). Von Kirchhellen-Mitte bis zu dieser Kurve ist die B 223 auf einer Länge von fast 3 km schnurgerade. Die Gefährlichkeit dieser Kurve liegt in der fast rechtwinkeligen Abbiegung nach rechts und der tiefen Böschung zum Garten des Bauern und Gastwirtes Eulering-Otte.

Lehrer Karl Wessels hatte noch am Morgen desselben Tages seine Klasse auf die Gefahr dieser Kurve hingewiesen, sie lageplanmäßig auf der Tafel aufgezeichnet und auf der Rückseite einen Totenkranz aus Mispeln gemalt und darunter geschrieben: "Gott schenke und in der Beichte die seligmachende und helfende Gnade!

Etwas Schreckliches passierte: Der Grafenwälder Motorradfahrer schaffte die "Todeskurve" nicht und stürzte. Er kam mit leichteren Verletzungen davon, Lehrer Wessels wurde lebensgefährlich verletzt. Er war bereits tot, als er in das St.-Antonius-Krankenhaus Kirchhellen eingeliefert wurde.

Frau Wessels erfuhr noch am gleichen Abend von diesem Unfall, ohne jedoch zu ahnen, dass sie schon Witwe war. Es war für sie ein tiefgreifender Schock, als ihr die schmerzliche Todesnachricht von der Oberin übermittelt wurde.

Karl Wessels, ein westfälischer Bauernsohn, war an der Westfront für seine Tapferkeit vor dem Feind zum Offizier befördert worden. Wenige Jahre nach Kriegsende kam er in den Schulverband Kirchhellen und unterrichtete an der katholischen Volksschule in Grafenwald. Hier machte er sehr schnell als Erzieher, Naturfreund und Heimatdichter auf sich aufmerksam.

Viele ältere Grafenwälder können sich noch gut daran erinnern, dass er frühmorgens schon aus der Heide kam, wenn sie zur Arbeit gingen.

Ein Stück Hermann Löns steckte in seiner Seele! Im Bruch und Heide entstanden auch seine bekanntesten Gedichte, nämlich das Lied "Grofenwold", zu singen nach der Melodie: "Wohlauf, die Luft ...

Den groten Wold op Kölnschland an
Es' dusend Johr un siewen;
Den Warwulf un den groten Jan
Hätt do ehr Spiäl gedriewen.
We sind nech stolt in Groafenwold,
Nech stolt op olle Saken,
Män op den Wold do sind we stolt,
Do könnt jit nicks dran maken.

En Kiärksken steht nu in den Wold
Met no sau bunten Ruten,
Det süht seck alltied nüdlick an
Van binnen un van buten.
We sind nech stolt in Groafenwold,
Nech stolt op olle Saken,
Män op dät Kiärksken sind we stolt,
Do könnt jit nicks dran maken.

De Mannslü hier in Groafenwold
Könnt överall gewähen,
Den op den Pütt un den int Holt
Un den be't Handwerk lähen.
We sind nech stolt in Groafenwold,
Nech stolt op olle Saken,
Män op de Mannslü sind we stolt,
Do könnt jit nicks dran maken.

De Fraulü hätt' ne grote Last,
Müett gauhe gohn un springen,
Det ganße Hus wäd opgepaßt
Un hätt no Tied taum singen.
We sind nech stolt in Groafenwold,
Nech stolt op olle Saken,
Män op de Fraulü sind we stolt,
Do könnt jit nicks dran maken.

Sein letztes Gedicht "Ächter Böm und Busch" sei hier gesetzt als sein Freudenlied und sein Todesahnen!

Min Hus lett achter Böm un Busch
un achter Steen un Sand.
Do springt de Becke dür den Grund,
do greunt det grote Land.

De Vüegelkes singt schmöd un sacht
bie'n ersten Morgenschien,
un Blaumen giäl un Blaumen witt
könnt garnich bunter sin.

Un oambds, dann goht de Stärnkes op,
de Mone schient so witt,
'nen golden Strieb van sinen Schien
he in de Becke schmitt.

Ick schlop un dröm - un freue me
det ganze Liäwen lank.
Wo Menschen wiet van ene wuont,
da gifft ken Striet off Stank.

Män eenen es', de günnt me nech
min Glück an'n Wieschenrand,
det es' de Dod - dä grippt no me
met sine kolle Hand.

He päckt me an un schert sick nech
an mine grote Freud;
o Här, et stärwt sick doch so schwor
do achter Sand un Heid.

De Bläumkes kommt un Vüegelkes
un Sonne, Mon un Stärn
un seggt: "Nu bliew no'n bettken hier,
du gehs' jo doch nech gärn."

Ick kann nech bliewen, lot me gohn,
wat sall ick hier no daun?
Den Garen un det Ackerland
lot nu de Jungens baun.

Man sagt und Westfalen nach, wir hätten die Gabe des "zweiten Gesichts", wir könnten mit dem geistigen Auge kommende Ereignisse vorausahnen. Diese Gabe schien Karl Wessels zu Eigen gewesen zu sein.

Frau Wessels verkaufte ihr Haus an die Gemeinde Kirchhellen und verzog mit ihren Kindern in ihre Geburtsstadt Münster, wo alle drei auch jetzt noch wohnen.

Zum Gedenken an den Lehrer Wessels wurde die Verbindungsstraße von der Schneider- zur Friedenstraße in Grafenwald "Wessels-Straße" benannt.

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letzte Änderung: 30.05.2020 Impressum - Datenschutz