Presseartikel: Im schönen Rotbachtal in Grafenwald

Im schönen Rotbachtal in Grafenwald

(hs) Die Eisenbahn hat wichtigeres zu tun, als Urlaubs- und Feiertagsreisen zu bewältigen. Dafür haben wir - auch in diesen Tagen des beginnenden Juni - volles Verständnis. Wanderziele bietet Gladbecks Umgebung in reichlicher Anzahl. Freilich haben früher viele Wanderer Ziele bevorzugt, zu denen erst eine Anfahrt mit der Bahn zurückzulegen war. Die Einschränkungen des Personenverkehrs auf der Eisenbahn bringen es mit sich, daß wir uns für schöne Wandertage in den Sommermonaten stärker als bisher nach lohnenden Wanderzielen der nächsten Umgebung unseres Wohnorts umsehen.

Den Hiesfelder Wald vom Kirchhellener Wald trennt der Rotbach. Eine Strecke lang ist dieser Bach die Grenzscheider zwischen Rheinland und Westfalen, links begleitet ihn der Hiesfelder Wald, der meist aus mehrhundertjährigen Eichen und Buchen besteht und rechts der Kirchhellener Wald, der sich als ausgesprochener Kiefernwald von dem hellen Laubwald scharf abhebt. Auf das wunderschöne Rotbachtal und die sehr lohnenden Wanderwege an diesem munteren Bächlein wird viel zu selten aufmerksam gemacht. Es lohnt sich, dem murmelnden Bach in seinem Zickzacklauf eine Strecke durch die Waldungen zu folgen, soweit die Wanderwege es erlauben.

Unfern der Rotbachquelle liegt die Grafenmühle. Die ursprüngliche, schon 1020 erbaute Mühle maß an dieser Stelle nur vier Quadratmeter im Geviert. Von ihrem Besitzer Graf von Merveldt, Landrat von Recklinghausen, ist die Mühle später in den Besitzt eines Müllers Cremer übergegangen, von dem sie Franz Mai und nach diesem Johann Dickmann übernahm. Seit 1895 gehört die Mühle Franz Oleynik. Seit 1925 ist auf dem bei der Mühle gelegenen Stauteich Gelegenheit für Ruderpartien auf Kähnen. Die Grafenmühle wurde im Volksmund auch lange Zeit "Prokeliesers Möhle" genannt. Diese Bezeichnung rührt von dem Mädchennamen (Luise Prockeler), einer Besitzerin dieser Mühle her und hat sich noch heute bei der älteren Bevölkerung der näheren und weiteren Umgebung Grafenwalds erhalten.

Folgt man dem Lauf des Rotbaches von seiner Teichquelle im versteckten Grafenwald bis etwa zur ersten Waldkottensiedlung, so treffen wir rechter Hand unter einem dichten Laubholzdach eine Stelle, die seit jeher im Volksmunde der "Franzosenfriedhof" benannt ist. Was es mit dieser Bezeichnung genau auf sich hat, dafür gibt es keine verbürgten Nachrichten. Ein steinaltes Mütterchen hat einmal einige Fragmente von einer Begebenheit erzählt, die bei aufhorchenden Enkel die Ansicht Gestalt gewinnen ließ, daß sich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges an dieser Stelle ein Drama abgespielt haben müsse, dessen Opfer eine Horde marodierender französischer Hilfsvölker geworden zu sein scheint.

Nach dieser Erzählung habe sich die damals nur spärlichen Ansiedler von Grafenwald eines Trupps versprengter Kriegsbanditen, die man für Franzosen hielt, weil niemand ihr Kauderwelsch verstand, auf die Weise, wie Hermann Löns sie in seinem Werwolfbuch schildert, entledigt. Ein anderer Ausweg, sich dieser Kriegspest zu erwehren, blieb ihnen nicht. Ganz Grafenwald hatten die rohen Gesellen, angeführt von einem baumlangen Kerl, dem das Kainsmal auf der Stirn stand, ausgeräuchert, sich an Frauen und Mädchen vergriffen, die Müllerstochter, die sich energisch zu Wehr gesetzt, in bestialischer Weise vergewaltigt und sie in den Mühlteich geworfen. Der vor Gram und ohnmächtiger Wut fast irrsinnig gewordene Müller, der gemeinsam mit dem untröstlichen Bräutigam der Müllerstochter deren Leiche am Waldesrand begrub, schwuren der Mörderbrut blutige Rache.

Als die ruchlose Bande ihre Streifzüge weiter ausdehnen mußte, da ganz Grafenwald schon ausgeräubert und dort alles aufgezehrt war, setzte ihnen eines Tages Müller auseinander, er und seine Nachbarn wollten sie auf einem Raubzug zu den jenseits des Waldes gelegenen Bauernsiedlung begleiten, wo reiche Beute an Vieh und Lebensmitteln ihrer warte. Er bedingte sich nur einen gerechten Anteil an der Beute aus, damit sie in Grafenwald nicht verhungern müßten.

Auf diesen Plan ging der Anführer der Bande, der schon längere Zeit von seinen Mordgesellen gedrängt worden war, ihnen wieder einmal fette Beute zu verschaffen, mit Feuer und Flamme ein. Von dem Müller und seinen Verschworenen wurden alle handfesten Männer in Grafenwald in den Plan eingeweiht, die Mordgesellen in den Wald zu locken und dort niederzumachen. Die Grafenwälder sahen sich ihres Eigentums und ihres Lebens seit langem bedroht; alle sehnten sich danach, dem unleidlichen Zustand ein Ende zu machen.

Sie bewaffneten sich in einer Stärke von 50 Mann mit Äxten, Mistgabeln, Flegeln, Hackmessern und strebten früh genug dem genau ausgemachten Ort des Überfalles zu, wo sie sich hart am Wegrand in einem Wacholdergebüsch und zwischen Ginstersträuchen versteckten. Ein Dutzend Flintenträger wurden rund um den Ort postiert, um nur ja keinem einzigen der Mordbande entweichen zu lassen. Die im Versteck Lauernden vernahmen bald das Herannahen die Bande, die sich von dem Müller führen ließ, während etwa 30 Grafenwälder folgten, als ob sie mit der Bande auf Raub ausgingen. Durch ihre Redensarten hatten sie bei diesem Marsch den Marodeuren klar gemacht, daß sie in ihrer Gesinnung ganz zu ihnen gehörten. Bei Mondlicht an der düsteren Waldstelle angekommen, wurden die Marodeure dann restlos niedergemacht. Der Müller zählte die Leichen, um sicher zu gehen, daß kein einziger entkommen war. Im roten Bach reinigten die Bauern ihre Hände von dem vergossenen Blut, worauf sie den in Verstecken untergebrachten Frauen und Mädchen Nachricht brachten, daß sie befreit seien. Noch in der gleichen Nacht wurde eine große Grube ausgehoben, worin die Erschlagenen samt ihren Waffen begraben wurden.

Wenn auch nur ganz selten von der Begebenheit Erwähnung getan wurde, so hat doch der Volksmund die Bezeichnung der Stelle "Franzosenfriedhof" bis auf den heutigen Tag erhalten.


Nach der handschriftlichen Notiz ist der Artikel am 31. Mai 1941 erschienen. Den Anfang des Textes lässt vermuten, dass der Artikel in einer Gladbecker Zeitung gedruckt wurde. "W. B." steht für "Westfälischer Beobachter". Diese Zeitung erschien von 1940 bis 1945 in Gelsenkirchen.

Im dritten Absatz wird auf den Namen "Prokeliesers Möhle". Die Deutung als "Luise Prockeler" ist ungewöhnlich.


letzte Änderung: 24.08.2021 Impressum - Datenschutz