1945 endet der zweite Weltkrieg mit dem Zusammenbruch des "1000-jährigen Reiches". Wie diese schlimme Zeit in unserer Gemeinde erlebt wurde, davon hat Pfarrer Franke in seinem Tagebuch mit eindringlichen Aussagen berichtet. Heute können Auszüge aus diesem Tagebuch Mahnung sein, dass eine solche Zeit sich niemals wiederholen sollte:
Am 25.03.1945, Palmsonntag , war 1/2 7 Uhr Messe mit Entlassungsfeier,
Artilleriefeuer, das aber nicht Grafenwald nicht zum Ziel hatte, begleitete
die Feier. Die Kirche war gut besetzt. Gegen 7 1/4 Uhr schloss sie. Es war
hohe Zeit. Die Flieger hatten ausgeschlafen und nahmen ihre Arbeit wieder
auf. Sie bearbeiteten die Flakstellung und die Bottroper Straße. In der
Umgebung der Kirche konnte man in aller Ruhe spazieren. Im übrigen hielten
sich die Grafenwälder zumeist in den Kellern auf, wie es der Rundfunk
anwies.
Abends 6 Uhr war Messe. Die Flieger zogen sich zurück. Die Grafenwälder
kamen aus ihren Kellern und genügten ihrer Sonntagspflicht. Die Kirche war
fest genau so gut besetzt wie an gewöhnlichen Sonntagen. Nach der Messe
hörte man die örtlichen Neuigkeiten. Die amerikanischen Truppen sollen bei
Hiesfeld stehen. Einzelne Vortrupps seien schon bei der Grafenmühle und am
Alten Postweg gesichtet.
Am Montag, 26.03.1945, war stärkstes Artilleriefeuer und stärkste
Fliegertätigkeit. Im großen Ganzen hielten wir uns in der Wohnung.
Nachmittags kam ein junges Ehepaar und bat um Unterkunft. Er sei
Zivilangestellter bei der Organisation Todt und nach Dorsten abkommandiert,
könne aber nicht weiter, weil Kirchhellen unter schwerem Artilleriefeuer
läge. Zugleich kam ein Junge auf dem Rad vorgefahren, mit einem
Zettel, mit
der Bitte, auf der Hohen-Heide einen Schwerkranken zu versehen, da der
Pastor von Kirchhellen wegen des Artilleriebeschusses nicht kommen könnte.
Auf dem Versehgang wurde mir klar, dass der ganze Kampf um die Bottroper
Straße ging, wir also mitten in und zwischen den Fronten waren. Der
Versehgang war auf dem Hinweg gefahrlos, auf dem Rückweg schlugen die
Granaten rechts und links vom Wege in die Wälder ein. Stückweise, von Haus
zu Haus, wurde der Weg zurückgelegt. Auf der Bottroper Straße wurde ein
Pferd vom Maschinengewehrfeuer der Flieger getroffen. Von dort bis zur
Kirche war man außerhalb des Schussfeldes. Gegen Abend zogen sich die
Flieger zurück. Man hörte freilich starkes Artilleriefeuer; es galt aber
nicht uns.
Deutsche Artillerie wollte in der Nähe von Scheidgen Aufstellung nehmen. Ich
wurde gerufen. Auf meine Frage: "Wer ist der Hauptmann? Wer der Offizier?"
kam die Antwort: "Weg". Meine Vorstellung, die unmittelbare Nähe der
Wohnungen meiden, wurde wenig beachtet. Schließlich rückte man doch mehr
von der Wohnung ab. Am anderen Morgen war die Artillerie verschwunden. In
der Nacht haben wir nicht mehr geschlafen.
Am Dienstag, 27.03.1945, war um 1/2 7 Uhr Messe. Beim letzten Evangelium
schlugen 2 Granaten auf der Nordseite 3 - 4 m von der Kirche entfernt ein.
Das Glas des ganzen Chorfensters wurde eingedrückt.
27. März 1945
Amerika ist Herr von Grafenwald. Gegen 10 Uhr zog sich die Nachhut des
Deutschen Heeres eiligst zurück. Es hieß von Nachbarn: "Die Engländer sind in
Grafenmühle." 1/2 11 Uhr kam der letzte deutsche Soldat, blass und verwirrt,
mit der Frage: "Wo sind die anderen?" Gegen 1 Uhr Mittag kam der erste
amerikanische Soldat durch die Kirche; 1/4 6 größere amerikanische Vortrupps,
6 Uhr belegten sie die Keller des Pastorats. Die Nachbarhäuser werden
evakuiert. Ein Teil der Bewohner kommt in das Pastorat.
Das 3te, 1000-jährige Reich Adolfs ist zusammengebrochen. Wir sind frei und
dürfen den Mund wieder auftun. Das Ende ist kläglich und grausig.
entnommen aus: Johannes Lanfermann: 25 Jahre Heilige Familie Grafenwald, 1996
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