Die Gewinnung von Holzkohle in den Wäldern von Kirchhellen.
Von Karl Wessels, Kirchhellen.
Die heute so still verträumten Täler des Roten und des Schwarzen Baches
haben einst arbeitsames Leben und größeren Verkehr gesehen. Ueber ein
Jahrhundertlang führte die fürstbischöfliche Postlinie Münster-Köln-Bonn
durch ihre Quellgebiete. Des Posthorns Schalmeien brachten Grüße des
Domherrn Franz von der Wenge aus Münster und meldeten seinen Besuch an.
Eines Tages erschien der Würdenträger in eigener Person (Haus Beck war seine
Heimat), um endlich den Bau der Antonyhütte an der Osterfelder Grenze in
Angriff zu nehmen. Die Wälder der Nachbarschaft sollten die für den
Schmelzofen nötigen Holzkohlen liefern.
Schäumende Pferde ziehen pustend eine schwerbeladene Karre über den Sandweg.
Sie bringen "Ziererde" zur "neuen" Hütte. Die Rasensteine stammen aus der
Gegend von Kirchhellen, Dorsten und Buer. Später holte man sie auch aus dem
Münsterlande. Der Fuhrmann schimpft ob der schlechten Wege. Gott Dank, nur
noch eine Wegesstunde, und er kann den glückverheißenden Spruch über dem
Torbogen der Hüttengewerkschaft lesen:
Nicht mehr aus Frankreichs, Belgien, Englands Hütten
wollen Eisen wir erbitten.
Die Herren Jacobi, Haniel et Hunssen,
und ter Lueg wollen wissen,
was die deutsche Kunst wohl wär.
Aus dem Rotbachtal kommen merkwürdige, korbähnliche Karren gefahren. Sie
folgen der Zierkarre, haben sie doch dasselbe Ziel. Ihre Ladung besteht aus
Holzkohle, die in der Eisenindustrie zum Verhütten gebraucht wird.
Vor einem Menschenalter noch stand die Meilerei in hoher Blüte. Wurde doch
der letzte Holzkohlenhochofen auf der G.H.H., der jährlich durchschnittlich
24 000 Zentner Roheisen lieferte, erst am 28. August 1875 ausgeblasen. Jetzt
gehört die Holzkohle in hiesiger Gegend der Geschichte an. Der Koks hat ihre
Stelle eingenommen. Nur einige Männer des Holzkohlenzeitalters leben noch.
Der älteste Vertreter, der im wohlverdienten Ruhestand lebende 82jährige "schwatten
Peters Bernd" (Bernhard Uhlenbrock) weiß noch von der "hölten" Kohle und
seinem gefahrvollen Berufe zu plaudern. Und als ich ihn mal wieder
aushorchen wollte, hatte er zur besseren Instruktion einen richtigen Meiler
im kleinen aufgebaut. Diese Art Veranschaulichung gewährte mir einen
vorzüglichen Einblick in den Werdegang der Holzkohle. So nebenbei wurde auch
etwas aus dem Leben der Köhlerfamilie erzählt.
"Schwatten Perters Bernd" schreitet durch den "Grund", geht in den
Kattenkamp, auf Sportswiese, in Utschlags- oder Hasekeschlag. Dort kann man
heute noch die Meilerstellen erkennen. Hohe Buchen sind darüber gewachsen.
Das an den Wintertagen gefällte Holz wartet auf den Köhler. "Schwatten
Peters Bernd" gibt die nötigen Anweisungen und faßt kräftig mit an. Das Holz
wird zerschnitten. Die größten Stücke messen 4 Fuß - 48 Zoll. Auch das
kleinste Stück Holz findet Verwertung. Jede Holzart (Eichen, Buchen, Erlen
und Tannen) ist den Köhlern recht. Die Eichen und Buchen lieferten harte,
die Tannenhölzer dagegen weiche Kohlen. Auch der Faulbau gab eine gute
Kohle. Eine Hauptforderung stellte man an die Beschaffenheit des Holzes, es
mußte durchaus gesund sein. Faules Holz verkohlte schlecht und hält das
Feuder lange fest, ein Uebelstand, der sich besonders beim Transport der
Kohlen unliebsam bemerkbar machen kann.
Inmitten der spiegelglatten Meilersteine werden drei Richtstangen nicht weit
voneinander in die Erde gesteckt. Zwei Ringe aus Weiden- und Birkenruten
geben den Stangen Halt und gegenseitige Verbindung. Die Höhe der
Richtstangen richtet sich nach der Größe des zu errichtenden Meilers, der in
der Regel nicht über 10 Fuß noch wird. Die ersten Hölzer, die 4 Fuß messen,
werden an den untersten Ring gestellt, rundherum, sodaß in der Mitte eine
Oeffnung, "Herz" genannt, bleibt. Der Name verrät schon die Bedeutung der
schornsteinähnlichen Oeffnung. Wir können sie mit einem Luftschacht
vergleichen. Eine Runde nach der anderen wird aufgestellt, zwischendurch
finden auch die krummen Hölzer ihren Platz, immer mehr, bis der Meiler den
gewünschten Umfang hat. An der Peripherie stehen natürlich nur gerade Hölker,
weil die sich am besten verdichten lassen.
"Det iärste Gefett", der erste Satz ist fertig.
Der zweite Stock wird aufgebaut. Der Meister steht oben. Flinke Hände
reichen ihm die Holzstücke an. Er setzt sie an den zweiten Ring. Der Meiler
wächst und rundet sich und verjüngt sich nach oben immer mehr. Besonders
stark tritt die Verjüngung im dritten "Gefett" in Erscheinung. Die letzten
und zugleich kürzesten Hölzer werden fast wagerecht gelegt. Der Köhler steht
auf einer selbstgezimmerten Leiter, Treppe genannt. - Einen mäßig starken
Baumstamm hat er von Fuß zu Fuß eingesägt und die Kerben (Stufen)
ausgehauen. - Der Meile ist ihm über den Kopf gewachsen. Damit gestaltet
sich die Arbeit im obersten Stockwerk immer schwieriger. Mit vieler Mühe und
Sorgfalt werden die 1 bis 2 Zoll starken Hölzer im dritten "Gefett"
zurechtgelegt. Dünnes Abfallholz füllt die Lücken.
Der Meiler ist im Rohbau fertig.
Nun folgt das Verdichten. Es erfordert die größte Gewissenhaftigkeit, denn
die kleinste Oeffnung zwischen den Hölzern kann der Meiler und auch das
Leben des Köhlers gefährden. Zum Abdichten verwendet man dicke Rasenstücke.
Die noch offen gebliebenen Fugen werden mit Erde und losem Sand zugemacht.
Nur das "Herz" bleibt los. Obgleich die verdichtende Arbeit peinlichste
Genauigkeit verlangt, muß sie doch schnell vonstatten gehen, denn Zeit ist
Geld. Das wußte man auch damals schon.
Den Holzkohlensack auf dem Rücken besteigt "schwatten Peters Bernd" den
Meiler und schüttet Kohlen in das "Herz". Er füllt es bis an "det twedde Gefett".
Steigt herab, nimmt seine Schaufel zur Hand, geht an den nächsten kleinen
Meiler, der Fuchs genannt wird, holt glühende Kohlen, steigt vorsichtig
wieder meilerauf und schüttet die Glut auf die eben eingefüllten Holzkohlen.
Auf die Feuersglut folgen bis oben hin Kohlen, die mit der Rührstange
ordentlich festgestampft werden. Rasenstücke und Erde decken nun auch das
brennende "Herz" zu.
Des Köhlers Aufmerksamkeit wächst. Tage- und wochenlang - das Brennen des
Meilers dauert 14 Tage - ist er an seine Arbeitsstätte gebunden. Das
Rotbachtal wird ihm zur Heimat. Nächte durch wacht und schafft er. Rauch,
Staub und Schweiß schmutzen Gesicht und Hände. Was nützt das Waschen im
Rotbach? Auch das Leinenhemd schwärzt sich. Schwere Arbeit wird
anstrengender, die Aufmerksamkeit aufreibender. Gott sei Dank, die Ablösung
kommt. Der Köhlermeister verkriecht sich in eine Erdhütte, die dürftigen
Unterschlupf und Schutz gewährt.
Im Meiler rumort es. Die eingesperrten Feuergeister rühren sich. Wie das
Blut den Körper durcheilt, so das Feuer den Meiler. Vom "Herzen" nimmt es
seinen Ausgang, durchglüht die Holzkohlen und breitet sich allmählich nach
den Seiten aus. "Das Feuer läuft rund", sagt der Köhler. Und es würde sogar
den Meiler runddrehen, wenn nicht die starken Querhölzer, die in den
verschiedenen Lagen eingelegt worden sind, es hinderten.
Der Köhler umschreitet den Meiler, die Verdichtung zu prüfen. Das Brennen
beschleunigt er, indem er mit einem spitzen Schaufelstiel Zuglöcher, Loch an
Loch, in den kohlenden Meiler sticht. Jetzt wissen wir auch, warum die
Meisterstelle so schön geglättet wurde. Die Ebene gewährleistet eine
regelmäßige Luftzufuhr, und er ständige, stets sich gleichbleibende Zur ist
des Köhlers erster Gehilfe. Den losen Wind mag er nicht leiden. Er schützt
sich davor, so gut es geht und versucht, ihn mit hohen Matten, die in
eigener Werkstatt aus Birkenreisern, Heidekraut und Weiden angefertigt
wurden, von der Meilerstelle fernzuhalten. Ist der Meiler am Boden "gar"
(fertig), dann werden die Zuglöcher zugemacht. Die Glut muß ersticken und
erkalten. Etwas höer wird eine neue Reihe Löcher gesteckt. Das Feuer steigt.
Immer wieder umschreitet der Köhler den brennenden Meiler, beobachtet die
Zuglöcher und paßt auf, daß die Glut hübsch artig bleibt.
Die Gefahr des Durchbruchs ist groß, besonders dann, wenn der Meiler zu
sacken beginnt. Der Rasen fällt ein, Flammen zügeln. Der Köhler schippt und
schippt, die Einbruchstelle zu dichten, zu füllen. Es glückt ihm. Viel
schwieriger, ja geradezu gefahrvoll ist der Wachtdienst auf der Leiter.
Wehe, wenn zu beiden Seiten der Leiter ein "Schlag" erfolgt. Dann ist der
Meiler in Gefahr, zu verbrennen, des Köhlers Leben in Gefahr, unterzugehen.
Gnade ihn Gott.
Wenn ein Meiler verbrennt, ist der Schaden groß und der Lohn dahin. Zwei
anstrengende Wochen wurden umsonst vertan.
Nun heißt es sparsamer wirtschaften und noch fleißiger arbeiten. Das
Verlorene muß wieder eingeholt werden. Die Tabakration wird zwar nicht
kleiner, aber teurer, weil die Kaufkraft des Geldes infolge des Lohnausfalls
geringer geworden ist. Er raucht jeden Tag ein Päckchen, der schwatte Peter.
Bis er einen guten Tages seine Wohnstätte betritt und erklärt: "Moder ik
schmök nich mä." Wahrhaftig, er stellte das Rauchen ein, nicht weil er ihn
nicht mehr mochte, nein, er wollte nur jeder Schererei und jedem Verdacht
aus dem Wege gehen. Wenn nämlich irgendwo im Walde ein Brand Schaden getan
hatte, dann gab es immer peinliche Untersuchungen. Man forschte fleißig nach
der Ursache. Und schon mehr als einmal war in maßgebenden Kreisen auf das
Pfeifchen des "schwatten Peters" gedeutet worden. Das wurde ihm denn doch
zuviel. Er entsagte dem Rauchen und versuchte es mit dem "Preum". Und siehe
da, es ging. Sein hohes Alter beweist es.
In etwa vierzehn Tagen ist der Meiler ganz gar. Die Glut erstickt. Am
frühesten Morgen beginnt das "Schälen" oder das "Ziehen". Der Meiler wird
geöffnet. Zeigen sich noch einige Glühkohlen, so werden sie mit Sand oder
Wasser gedämpft. Das Wasser ist den Kohlen nicht zuträglich und wird deshalb
nur in geringer Menge gebraucht. Allzuviel Wasser verdirbt die Kohlen. Sie
zerfallen und schmutzen.
Die Kohlen liegen versandbereit und warten auf den Fuhrmann. Gegen sechs Uhr
naht die Pferdekarre. Anstelle der Bretter hat sie an den Seiten ein recht
hohes Geflecht aus Ginster (Brohm), weide oder Faulbaum. Die Kohlen werden
mit einem Rispel (Korb) aufgeladen. Eine Karre faßt gewöhnlich fünfzehn Fatt.
(1 Fatt = 1 Zentner, auf der Hütte 1 Fatt = 2,5 Ztr.).
Die Fahrt beginnt, Karre hinter Karre. Man zählt 10 bis 15 Stück.
Fünfzig Jahre sind ins Tal gegangen. Die Meiler sind nicht mehr. Buchen
wölben über den Bach. Auf den Höhen grünt die Heide. Und der Bach singt ein
neues Lied.
Zur Ergänzung des Vorstehenden sei es mir gestattet, mitzuteilen, was die
Festschrift der Gutehoffnungshütte von 1910, Seite 10 und 11, über die
Holzkohle berichtet. Die G. H. H., Zweigniederlassung Oberhausen, hat mir
den Auszug in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt. Er lautet:
"Die Holzkohle war (gegenüber dem Erz) der erheblich wertvollere und
seltenere Rohstoff. Das Faß harte Kohlen (= 250 Pfd) aus Buchen- und
Eichenholz kostete auf der Antonyhütte 1 3/4 bis 1 11/12 Reichstaler,
während sich der Preis für die weichen Kohlen aus Nadelholz auf 1 1/2 bis 1
2/3 Taler stellte. Die Herstellung der Holzkohle erfolgte zu einem
wesentlichen Teile im eigenen Betriebe. Die Antonyhütte unterhielt zu dem
Zwecke 32 Kohlenbrenner und Holzreuder. Auf der Gutehoffnungshütte stellte
sich während der Kampagne
|
der tägliche |
der gesamte |
von |
Kokskohlenverbrauch in Faß aus |
1801 |
14 3/4 |
2455 |
1802 |
14 |
2821 |
1803 |
18 1/1 |
2330 3/4 |
1804 |
- |
- |
1805 |
- |
1941 1/2 |
1806 |
- |
3047 1/2 |
"Sowohl der Preis der Holzkohle, wie die verfügbaren Mengen setzen der
Roheisenerzeugung am Niederrhein enge Schranken. Gegen Preistreibereien
konnten sich die Werke in gewissen Grade schützen, und sie taten das durch
Abgrenzung von Holzkohlenrevieren, innerhalb derer die Nachbarn sich keinen
Wettbewerb beim Einkauf machten. Derartige Verabredungen bestanden 1843
zwischen der Gutehoffnungshütte, der Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim,
der Gewerkschaft Prinz Rudolf bei Dülmen und der Hütte in Lünen. Die
Holzkohlenmenge wurde dadurch freilich nicht vermehrt, und darin lag das
Entscheidende. Im Januar 1842 war man der Ansicht: "Größere Quantitäten
gutes Roheisen auf Gutehoffnungshütte zu erzeugen, ist unmöglich, da das
Brennholz ein schlechteres Produkt erzielt wurde, als belgisches oder
englisches Eisen." Es ist bekannt, daß die westfälische Kohle, die sich
nachher als eine vorzügliche Kokskohle erwies, verhältnismäßig spät erst als
Koks bei der Roheisenerzeugung Verwendung fand. In den dreißiger und
vierziger Jahre ist auf Gutehoffnungshütte ernstlich versucht, das Problem
der Verwendung von Koks im Hochofen zu lösen. Zu dem Zwecke wurde 1843 auf
der Antony-Hütte ein Hochofen für Beschickung mit Koks erbaut. Zum Anblasen
diese Hochofens kam es jedoch wegen der ungünstigen Frachtlage der
Antony-Hütte nicht. Nach 1846 beabsichtigte man, ein bis zwei Koksöfen zu
bauen. Dann hören die Nachrichten über Versuche mit dem Koksschmelzen
vollständig auf. Bis 1855 kam man auf Gutehoffnungshütte nur zur Darstellung
von gemischtem Holzkohlen- und Koksroheisen in kleinen Hochöfen ..."
Als bedeutende Nebenbetrieb zur Herstellung von Gußwaren direkt aus dem
Hochofen ist dann die Erzeugung von Holzkohlenroheisen mit kleinem
Kokszusatz noch verhältnismäßig lange aufrecht erhalten. Am 28. August 1875
wurde erst der letzte Holzkohlenhochofen auf der Gutehoffnungshütte, der
jährlich durchschnittlich 24 000 Zentner Roheisen lieferte, ausgeblasen. Die
schwere Krisis der deutschen Eisenindustrie und die schwierige finanzielle
Lage der Hütte machten damals der mit viel zu hohen Selbstkosten arbeitenden
Holzkohlenroheisen-Erzeugung ein Ende." |