Vom Kirchenbrand in Kirchhellen
Nach den Berichten von Augenzeugen zusammengestellt von Karl Wessels
(Kirchhellen)Am 12. Juni des Kriegsjahres 1917 überflutet lichter
Morgensonnenschein das stille Pfarrdorf. Die Einwohner gehen ihrer Arbeit
nach und ahnen nicht, welch fürchterliches Unheil ihnen nahe bevorsteht.
Hinter dem Alter der alten Dorfkirche, dort wo früher die ????kammer war,
hat es in aller Stille zu brennen angefangen. An trockenen Holzwänden ist
dann das Feuer heraufgeklettert und schaut nun ganz verwegen vom Dachreiter
herab ins sommerliche Dorf, als wenn's sagen wollte: "Kommt nur, ich hab's
geschafft, ihr bringt mich nicht mehr herunter!". Frauen der Nachbarschaft,
die ihrer Wäsche aufhängen, bemerken das Feuer. "De Kiärke brennt, helpt
gitt, helpt, Härgott help!" Die nächsten Nachbarn eilen herbei, erkennen die
Gefahr und betreten mit ihrem Pfarrer die Kirche zum letzten "Gottesdienst".
Da heben die Glocken wie von selbst zum Läuten an und bitten Himmel und Erde
um Hilfe. Die heiligen Geräte und kostbaren Gewänder, die Figuren des
heiligsten Herzens Jesu, der immerwährenden Hilfe und des hl. Aloysius
werden in Sicherheit gebracht. Das ist aber auch alles. An eine Rettung der
Kirche ist nicht zu denken.
Die ganze Inneneinrichtung, jeden Teilchen ein Stück alter
Kirchengeschichte, bleibt ihrem Schicksal überlassen. Der herrliche Altar
mit den Erzengeln, die beiden Seitenaltäre, die barocke Kanzel mit den vier
Evangelisten, drei ehrwürdige Beichtstühle, die Orgel, viele Heiligenfiguren
(Joh. der Täufer, Joh von Nepomuck, St. Josef, der hl. Rochus, der von den
Landleuten zur Zeit der Pest besonders verehrt wird, die hl. Appollonia, die
Patronin gegen Zahn- und Kopfschmerzen) sie alle werden den "Märtyrertord"
im Feuer finden.
Vom scharfen Ostwind getrieben, breitet sich das Feuer gar bald über die
ganze Kirche aus. Behend steigt es den Turm hinan. Das Glockenhaus wird
angefacht und im Nu gleicht der Turm einer flammenden Fackel. Das Uhrwerk
steht. 10.40 Uhr. Noch eine Weile, dann schweigt auch der ehernen
Johannesglocke Mund, um sich in stiller Betrachtung mit ihren Geschwistern,
von denen die Marienglocke aus dem Jahre 1605 stammt, auf den Feuertod
vorbereitet. - Den Bewohnern des heimgesuchten Dorfes und den braven
Feuerwehrleuten kommt als erste auswärtige Rettungsmannschaft die städtische
Feuerwehr Essen mit einer Automobil-Brandspritze zur Hilfe. Im Verein mit
den Wehren von Gladbeck, Zweckel, Horste, Buer, Bottrop und Dorsten versucht
man, das gefährdete Dorf zu retten. Die in der Windrichtung liegenden Häuser
sind mit glühenden Kohlen übersät. Unter dem überheißen Dach seines Hauses
steht der Hausherr im Hohnholt auf der Wacht, um immer wieder das glimmende
Feuer mit einem kräftigen Wasserguss zu dämpfen. Unten im Haus bersten,
springen und Klirren die Fensterscheiben.
Mit vieler Mühle gelingt es, das Feuer auf seinem Herd zu beschränken.
Furchtbar wütet der Brand im Turm, ungeheure Hitze verbreitend. Der
Glockenguss löst sich auf. Das Metall tröpfelt wie weiches Wachs vom Turme
herab. Der Wetterprophet auf des Kirchturms Spitze schaut schon lange nach
Rettung aus. Und wie er merkt, dass sich seine Fesseln lösen, benutzt er die
erste Gelegenheit und fliegt in weitem Bogen über Huthmachers Haus zur Erde
nieder. Zwölf Uhr mittags beginnt sich das Schaurigste zu vollenden. Der
Turm sinkt ineinander, plötzlich neigt sich die Spitze und stürzt
blitzähnlich herunter, das Kreuz tief in die Erde bohrend. Das freibleibende
Fußende des Kreuzes knickt rechtwinklig um. Nun sind die größten Gefahren
glücklich überstanden. Der Brand nimmt an Stärke ab. Die uralte
Kirchengeschichte, davon der Name Kirchhellens fortwährend zeugen wird, hat
ihren Abschluss gefunden. - Tage- und wochenlang nach dem Brande kommen
Kinder und Erwachsene, um sich in ihrer Art auf dem Kirchplatz zu
beschäftigen. Die Kinder sammeln Reste von bunten Fensterscheiben und weißem
Marmor und spielen damit. Wissenschaftler studieren an den Ruinen das Alter
der Kirche. Eine Kriegsgesellschaft kauft das geschmolzene Metall der
Glocken. Was mag in den Feldpostbriefen der damaligen Zeit nicht alles vom
Kirchenbrand geschrieben stehen?
Heute beten die Christen wieder in ihrer alten Kirche, in der Notkirche.
Sie gelobten aber, dem Herrn ein neues Haus zu bauen. Nach dem
augenblicklichen Stand der Dinge will man den Neubau nicht länger
hinausschieben. Dann wird sich dank der wackeren Mitarbeit aller
Christgläubigen das Unheil des Jahres 1917 gar bald in ein noch größeres
Heil verwandeln.
Um dem Leser ein recht anschauliches Bild von der alten Dorfkirche zu
geben, sind diesem Aufsatz zwei Bilder beigegeben, von denen das eine die
Kirche vor dem Brande, das andere das Gotteshaus nach dem Unglück zeigt.
Wann aber wird bei den elenden Zeitläufen sich das neue Gotteshaus erheben?
Wer möchte die Frage auch nur annähernd beantworten? |