1901: Eigener Geistlicher für Grafenwald

Das Gotteshaus in Grafenwald war nach der Einweihung eine Filialkirche der Muttergemeinde St. Johannes der Täufer, Kirchhellen. Der Pfarrer von St. Johannes Kirchhellen hatte sie und die Filialgemeinde Grafenwald zu verwalten. Gottesdienste fanden in der neuen Kirche anfangs nur sporadisch statt. An Sonn- und Feiertagen kamen Patres aus verschiedenen Klöstern, was mit der Zeit immer schwieriger wurde. Es kam soweit, dass die neue Gemeinde mehrmals ohne eine sonntägliche Messe war. So kam es zu Unregelmäßigkeiten, Missverständnissen und Unzuträglichkeiten.

Nach Einweihung ihrer Kirche und Fertigstellung der Dienstwohnung für den Geistlichen betrachteten sich die Bewohner von Grafenwald erst recht als Gemeinde. Noch schöner wäre es gewesen, wenn auch schon ein eigener Geistlicher am Ort wäre. Das fehlende Geld für den Unterhalt des Geistlichen und die Unterkunft waren insbesondere auf Dauer gesehen Hindernisse für einen schnellen Erfolg.

Das Schreiben des Generalvikariates an den Kirchenvorstand in Kirchhellen, für die Anstellung des Geistlichen in Grafenwald gegen Vereinnahmung des Klingelbeutels dort ein Gehalt von 1.500 Mark jährlich zu garantieren, wurde nicht angenommen. Die Angelegenheit blieb eine Zeitlang ungeklärt.

Im Sommer 1901 wurde Grafenwald erfreulich überrascht: Bischof Hermann Dingelstad hatte den Priester Dr. Theodor Sunder zum ersten Geistlichen der künftigen Rektoratsgemeinde ernannt. Ein lang gehegter Wunsch war in Erfüllung gegangen. Endlich konnte ein geregelter Gottesdienst stattfinden. Die Schulkinder konnten nun auch an Werktagen eine heilige Messe besuchen.

Am 15.11.1901, mehr als zwei Jahre nach Einweihung der Kirche, wurde der erste Geistliche für die künftige Rektoratsgemeinde in sein Amt eingeführt. Am Tage vorher hatten Glocken und Böllerschüsse das denkwürdige Ereignis schon feierlich und laut verkündet. Dr. Theodor Sunder wurde in feierlichem Zug unter dem Geleit von Reitern, Radfahrern, der Geistlichkeit und des Kirchenvorstandes aus Kirchhellen abgeholt. Der Weg führte von der Bottroper Straße über die Schneiderstraße zum Kirchplatz. Er war geschmückt gleich einer via triumphalis = Feststraße. Triumphbögen, Kränze, Fahnen und Blumenschmuck waren angelegt, um auch äußerlich die Freude zu zeigen.

Um 4 Uhr nachmittags traf der Ehrenzug an der Kirche ein, In feierlicher Prozession zog die Gemeinde in die Kirche ein. Der neue Pfarrer der Muttergemeinde St. Johannes der Täufer, Kirchhellen, Herr Klemens Termöllen, begrüßte alle Festteilnehmer. Er gratulierte der Gemeinde Grafenwald zur Ernennung eines eigenen Geistlichen. Danach dankte Rektor Dr. Sunder für den herzlichen Empfang und versprach, alles was in seiner Macht läge zu tun, um das Vertrauen der Grafenwälder zu erlangen.

Der neue Rektor fand neben der Seelsorge ein reiches Tätigkeitsfeld in der Gemeinde.

Die Kirchenchronik vermerkt hierzu:

Es war recht dürftig in und um das Rektoratsgebäude und auch die Kirche. Der engste Raum um die beiden Gebäude ist noch wildes Gestrüpp, das aber langsam kultiviert werden wird. Im Innenraum ist der Anblick auch noch recht trostlos. Der Hochaltar ist noch denkbar einfach. Nur sein Sockel und die Kommunionbank zeigen Symbole der heiligen Eucharistie in Sandstein gehauen. Auf Grund der großen Gläubigkeit und Opferwilligkeit wird das mit der Zeit wohl anders werden.

Gehalt für den Geistlichen in Grafenwald

Pfarrer Clemens Termöllen zeigte wenig Verständnis für die Beschluss der kirchlichen Organe Kirchhellens, nicht für das Gehalt des Geistlichen in Grafenwald garantieren zu wollen. Auf Vorschlag des Bischöflichen Generalvikariats sollte jährlich für 1.500 Mark des Gehaltes garantiert werden. Dieser Vorschlag war vom Kirchenvorstand sowie der Gemeindevertretung der Mutterpfarre mit Mehrheit schon vor der Einführung des Geistlichen abgelehnt worden. Die Ablehnung fand auch bei einem Teil der Pfarrangehörigen Kirchhellens Zustimmung.

Dass Pfarrer Termöllen für den Vorschlag des Generalvikariats sprach, wurde ihm übel vermerkt und brachte ihm viele Anfeindungen.

Jahrelang dauerte der Streit um die Sicherstellung des Gehaltes an. Die Vermögensverhältnisse der Filialgemeinde waren noch nicht so, dass sie den gesicherten Lebensunterhalt des Rektors garantierten. Diese Situation brachte ihm seit seinem Dienstantritt in Grafenwald in eine unglückliche, für seine Person nicht würdige Abhängigkeit.

Er war auf Gönner angewiesen. Franz May, Werner Knipping und Johann Kreienkamp hatten sich schriftlich verbürgt, dass der Rektor in Grafenwald sein Gehalt bekam.

Der Bischof hatte Einsicht und übertrug dem Rektor Dr. Sunder am 29.10.1907 bis auf Weiteres die Verwaltung der ersten Kaplanei an der Pfarrkirche zu Kirchhellen. Er blieb Stelleninhaber bis zu seiner Versetzung nach Vellern im November 1916.

Zu dieser von Amtswegen übertragenen Kaplanei schrieb Rektor Dr. Sunder, am 01.11.1907, an das Bischöfliche Generalvikariat:

Hochwürdigstes Bischöfliches Generalvikariat,

nachdem der hochwürdigste Herr Bischof dem Unterzeichneten der Verwaltung der ersten Vikarie an der Pfarrkirche zu Kirchhellen bis auf Weiteres übertragen hat, wird wahrscheinlich der Kirchenvorstand sich bereit erklären, einen zweiten Kaplan an der Pfarrkirche aus der Kirchenkasse zu besolden. Er müsste dazu 1.500 Mark als Gehalt und 600 Mark für Wohnung "bis auf Weiteres" auswerfen.

Im Interesse des Friedens in der Gemeinde und einer beiderseitigen günstigen Regelung des Verhältnisses zwischen Mutter- und Tochter-Kirche,  möchte der Unterzeichnete ganz ergebenst folgendes in Vorschlag bringen:

Es wird bei dieser Gelegenheit mit dem Kirchenvorstand folgender Vergleich angeboten:
1. Der Kirchenvorstand zahlt 15 Jahre lang jährlich an die Filiale 1.800 Mark.
2. Er verzichtet auf die Steuer aus dem Bezirk Grafenwald, die angeblich etwa 300 Mark beträgt.
3. Die verlegte Vikarie fällt sofort an die Pfarrkirche zurück.
4. Es wird dem Kirchenvorstand garantiert, dass er in Zukunft nie mehr zu irgendwelchen Leistungen für die Filiale angehalten werden soll.

Durch diesen Vertrag wäre die Möglichkeit gegeben, hier sofort zur Abpfarrung zu schreiten. Es würden dann von den 1.800 Mark, eintausend Mark zu nehmen sein für das Grundgehalt des neuen Pfarrers. Die fehlenden 800 Mark lassen sich leicht aus meinen Stiftungen, Gebühren und Manual Stipendien (Handgeld) nachweisen.

Die übrigen 800 Mark würden hier zu 1.100 Mark ergänzt und jährlich zur Bildung eines Pfarrfonds zurückgelegt, der dann nach 15 Jahren ungefähr 25.000 Mark betragen würde.

Bei der augenblicklichen Erregung der Gemüter wäre es empfehlenswert, dem Kirchenvorstand gegenüber das Wort Abpfarrung direkt nicht zu gebrauchen.

Ich wiederhole: Diese Lösung wäre vorteilhaft für beide Parteien und besonders wünschenswert im Interesse des Friedens.

Eines hochwürdigsten Bischöflichen Generalvikariates ganz gehorsamster Diener

Dr. Theodor Sunder, Rektor

Die Antwort des Bischöflichen Generalvikariats vom 06.11.1907 lautete:

Euer Hochwürden teilen wir auf die Eingabe vom 1. November 1907 mit, dass es bei der jüngst getroffenen Anordnung vorläufig sein Bewenden haben muss. Es bleibt dem Kirchenvorstand von Kirchhellen überlassen, weitere Schritte zu tun.
gez. Hartmann

Auf Grund der Sachlage beschloss der Kirchenvorstand von Kirchhellen am 06.11.1908:

Wir bewilligen 1.500 Mark Gehalt für einen neuen Geistlichen auf drei Jahre, wenn die Stelle St. Catharinae bei der Abpfarrung von Grafenwald zurückkommt. Das Gehalt soll durch Steuern aufgebracht werden. Pfarrer Termöllen fehlte bei der Sitzung wegen Krankheit.

Die Einkünfte aus dieser Vikarie wurden anfangs auch dem Nachfolger des Rektors Dr. Sunder, Rektor Vissing gewährt.


entnommen aus: Johannes Lanfermann: 100 Jahre Kirche Grafenwald, 1999


letzte Änderung: 19.11.2006 Impressum - Datenschutz